Synthetische Chemikalien – Fluch und Segen
Wir profitieren vom Einsatz von Chemikalien in der Medizin, der Landwirtschaft, bei Konsumprodukten und vielem mehr. Die Kehrseite: Durch die Produktion und Freisetzung von synthetischen Substanzen und Plastik ist inzwischen die Stabilität des globalen Ökosystems gefährdet.
Die Folgen von Schadstoffen
Man findet Schadstoffe im menschlichen Gewebe, Blut und Urin und weit verbreitet in der Umwelt - sogar im Körper von Eisbären. Welche Folgen hat das für uns und unsere Umwelt?
Aufsehenerregende Giftskandale sind – zum Glück – die Ausnahme. Dazu zählen die Schaumberge durch Waschmitteltenside in den 1950er und 60er Jahren und jene, die Erin Brockovich (Grundwasserverseuchung durch Chrom VI) oder der Anwalt Robert Billot (Teflon-Skandal) aufdeckten. Leider gibt es immer wieder böse Überraschungen. So wurde Ende 2020 ein starkes Umweltgift aus dem Abrieb von Autoreifen als eine vermutliche Ursache für weltweites Fischsterben identifiziert. Diese Chemikalie ist das Abbauprodukt eines bisher als unproblematisch bewerteten Zusatzstoffes zum Gummi. Forscher fordern nun „lachssichere Reifen“.
Viele weitere Effekte sind aber nicht so aufsehenerregend. Oft entwickeln sie sich schleichend und/oder sind nicht so eindeutig und direkt mit den Ursachen in Zusammenhang zu bringen. Durch den Einfluss von schädlichen Chemikalien auf die menschliche Gesundheit entstehen nicht nur akute Vergiftungen, sondern auch Krebs, Geburtsfehler, neurologische Krankheiten, Störungen des Hormonsystems, Allergien und vieles mehr. Hormonschädliche Chemikalien werden zunehmend als Bedrohung gesehen. So nimmt man an, dass sie mit eine Ursache dafür sind, dass die Fruchtbarkeit in der westlichen Welt massiv sinkt.
Ursache von gesundheitlichen Problemen können einzelne Chemikalien sein, die sich im Laufe der Zeit im menschlichen Körper anhäufen. Vermehrt wird aber auch die Wirkung des „Chemikaliencocktails“ diskutiert, also der Mischung verschiedenster Chemikalien, die gleichzeitig ihre Schadwirkungen entfalten und sich gegenseitig beeinflussen können.
Die planetare Belastungsgrenze ist bereits überschritten
Das Konzept der planetaren Grenzen wurde ursprünglich von einer 28-köpfigen Gruppe von Erdsystem- und Umweltwissenschafter:innen unter Leitung von Johan Rockström vom Stockholm Resilience Centre entwickelt und 2009 erstmals veröffentlicht. Die Überschreitung einer dieser Grenzen kann die Stabilität des globalen Ökosystems und die Lebensgrundlagen der Menschheit gefährden. Die Einhaltung planetarer Grenzen wurde in Teilen bereits von der internationalen Klimapolitik als Ziel übernommen, z. B. bei der Zwei-Grad-Klimaschutzleitplanke.
Das Einbringen der sogenannten "Novel Entities" - Belastung durch Chemikalien inklusive Plastik - zählt neben der Klimakrise, der Intaktheit der Biosysteme und 6 weiterer zu den Faktoren, die hier betrachtet werden. Beim Klimawandel, der biologischen Vielfalt und dem Stickstoffeintrag in die Biosphäre wurde schon vor einigen Jahren festgestellt, dass die Grenzen bereits überschritten sind.
Im Jänner 2022 wurde die planetare Belastungsgrenze für "Novel Entities" erstmalig von einer Reihe von Wissenschafter:innen definiert und eine bereits massive Überschreitung konstatiert. Die Forscher:innen kommen zu dem Schluss, dass die derzeit zunehmenden Trends der chemischen Produktion und Freisetzung die Intaktheit des Erdsystems gefährden. Es werden Maßnahmen gefordert, um die Produktion und Freisetzung von Schadstoffen zu reduzieren. Der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft sei sehr wichtig. Das bedeutet, Materialien und Produkte so zu ändern, dass sie wiederverwendet und nicht verschwendet werden, Chemikalien und Produkte für das Recycling zu entwickeln und Chemikalien auf ihre Sicherheit und Nachhaltigkeit entlang ihres gesamten Wirkungspfads im Erdsystem zu überprüfen.
(Betrachtet man die Abbildung als Uhr, so findet man die Einträge für die bereits überschrittenen Grenzen ca. bei: "Novel Entities" von 12-13h30, Stickstoff- und Phosphoreintrag 17-19h, Landverbrauch (Land system change) 20h-21h30, Biodiversität 22-23h, Klimawandel 23-24h)
Die chemische Industrie ist aber eine Wachstumsbranche. Ihr weltweiter Umsatz wird 2030 beinahe das Doppelte von jenem im Jahr 2017 betragen. Schwerpunkt des Wachstums ist der asiatische Raum, vor allem China, aber auch in Europa werden im Jahr 2030 weit mehr Chemikalien erzeugt werden als heute. Es werden viele Anstrengungen nötig sein, um zugleich die globale Bedrohung durch "Novel Entities" zu reduzieren.
Schadstoffvermeidung mit dem Umweltzeichen
In der EU gibt es einige Vorhaben die Ausbreitung von Schadstoffen zu reduzieren. So hat die EU-Kommission angekündigt, dass bis ins Jahr 2050 neben dem Erreichen der Klimaneutralität auch Schadstoffe in Luft, Wasser und Boden soweit reduziert werden sollen, dass sie keine schädlichen Einflüsse mehr haben (Zero Pollution Action Plan). Es ist zu hoffen, dass das zumindest teilweise gelingt, Zweifel sind allerdings angebracht.
Um auf der sicheren Seite zu sein, kann man Produkte mit dem Österreichischen Umweltzeichen kaufen. Das Umweltzeichen ist ein Multi-Kriterien-Label und erfasst alle wesentlichen Faktoren, die die Umwelt und menschliche Gesundheit belasten. Daher sind bei allen relevanten Produktgruppen Schadstoffe so weit als möglich verboten oder zumindest stark eingeschränkt. Wie etwa bei Spielzeug. Hier gehen die Anforderungen des Umweltzeichens über die gesetzlichen Maßnahmen teilweise weit hinaus. Beispiele sind Schwermetalle, Phthalate und bedenkliche Farbstoffe. Dies muss im Gegensatz zum CE-Zeichen anhand von Tests nachgewiesen werden. Somit wird die Einhaltung der Kriterien durch das Umweltzeichen garantiert.
In den letzten Jahren wird in den Kriterien verstärkt auf die Kreislauffähigkeit der Produkte geachtet und in den Service-Richtlinien, etwa bei der grünen Filmproduktion oder im Tourismus, die Vermeidung von Einwegverpackungen weitestgehend vorgeschrieben.
Für genauere Informationen zu verschiedenen Begriffen im Zusammenhang mit Chemikalien haben wir ein Chemie-Glossar zusammengestellt.