Das vivihouse: Eine realisierte Bau-Philosophie
Was ist „kreislaufwirtschaftsfähiges Bauen“? Zum Beispiel das österreichische Projekt vivihouse! Dieses zeichnet sich durch ein Baukastensystem in modularer Holzskelettbauweise aus. Dabei kommen nur nachwachsende Rohstoffe für mehrgeschossige Bauten zum Einsatz.
vivihouse: Das sind drei junge Architekten aus Österreich und eine gemeinsame visionäre Idee: Adrian Schulz, Nikolas Kichler und Michael Fürst sind sich nicht nur einig, dass man beim Bauen „einfach nicht mehr so weitermachen kann wie bisher“, sondern haben sich auch mit den Gedanken des Philosophen Ivan Illich auseinandergesetzt. Wir haben darüber mit Michael Fürst gesprochen.
Wie ist der Name „vivihouse“ entstanden? „vivihouse“ ist eine Verbindung von „house“ und dem Adjektiv „konvivial“. „Konvivial“ meint „für gutes Leben geeignet“. „Konvivialität“ bezeichnet ein gemeinschaftliches Verhalten, ein Miteinander, eine Gemeinschaftlichkeit. Es geht hier um Begriffe, die 1973 der österreichisch-US-amerikanischer Philosoph Ivan Illich (Wien 1926 – 2002 Bremen) geprägt hat.
Tools for conviviality (1973). In seinem Buch „Tools for conviviality“ kritisierte er den unbedachten Umgang mit Werkzeugen und plädierte dafür, sich Technologien so anzueignen, dass sie dem Leben dienen, anstatt es zu belasten. Er reagierte damit auf wirtschaftliche Entwicklungen, die nicht zu menschlicher Entfaltung, sondern zu „modernisierter Armut“ und systematischer Abhängigkeit führten.
Aufruf zum Selbsttun. Auf diese Weise würden Menschen mehr und mehr auf „abgenutzte mechanische Teile“ reduziert werden. Illich plädierte daher dafür, „den Menschen selbst wieder die Werkzeuge zu geben, die ihr Recht garantieren, mit unabhängiger Effizienz zu arbeiten“. Frei nach Ivan Illich: Wenn es für jeden möglich wird, mehrgeschoßige Gebäude aus nachwachsenden Rohstoffen selbstbestimmt, kreativ und bedürfnisorientiert zu errichten, dann können wir das „konvivial“ nennen – mit einem anderen Wort: vivihouse! Das sind unsere Ausgangsüberlegungen.
Wer hat die Idee von vivihouse entwickelt? Federführend waren die drei Architekten Paul Adrian Schulz, Nikolas Kichler und ich unter Prof. Karin Stieldorf, damals als CEC, TU Wien in einem Klima- und Energiefonds geförderten Smart City F&E Projekt unter Consultation von Woschitz Group (Tragwerk, Holzhochhaus Seestadt Aspern), Lukas Lang Building Technologies (reversible engineering, temporäres Parlament), TB Käferhaus (Haustechnik), ASBN (Anleiter für die Laienworkshops in der Vorfabrikation).
Wie erklären Sie Interessierten das Konzept von vivihouse? vivihouse wurde entwickelt, um zukunftstaugliche, nachhaltige Architektur auch im urbanen Raum zu verbreiten, und durch das Öffnen der Baupraxis für neue Akteur:innen einen Wandel im Bausektor herbeizuführen.
Die vivihouse-Bauweise ermöglicht es, bis zu sechsgeschossige Büro- und Wohngebäude mit ökologischen Baumaterialien zu errichten. Nachwachsende Rohstoffe, Kreislauffähigkeit und Energieeffizienz sind dabei neben inklusiven Partizipationsmöglichkeiten, Leistbarkeit, hoher Flexibilität und Langlebigkeit die wichtigsten ökologischen und sozialen Aspekte. Ihre Kombination soll dazu beitragen, die Gestaltung der Materialkreisläufe im Gebäudebereich für immer mehr Menschen möglich zu machen und ein wirksames Transformationsinstrument in Zeiten des Klimawandels zu etablieren. Dieses Video vermittelt ausgezeichnet unsere Anliegen.
Wo wurde vivihouse bereits realisiert? Im Rahmen des F&E-Projekts wurde ein dreigeschossiges Demohaus im Stadtentwicklungsgebiet Donaufeld, Nordmanngasse 88, 1210 Wien errichtet. Es wird derzeit von der Gebietsbetreuung „Stadterneuerung“ als Kommunikationshaus angemietet. Nach einigen Jahren muss es dort wieder rückgebaut werden.
Kann vivihouse als zeitgemäßes, ökologisches Fertigteil-Haus bezeichnet werden? Ja, aber nur in einem gewissen Sinn. Denn der Begriff „Fertigteil“ erinnert zu sehr an Einfamilienhäuser. Unser Bausystem wurde jedoch für sechsgeschossige Büro- und Wohnbauten konzipiert. Es ist eine Holzskelettbauweise mit vorfabrizierten Decken- und Außenwandelementen sowie fertigen Nasszellen-Modulen. Je nach Standort können unterschiedliche Haustechniklösungen integriert werden. vivihouse ist also ein Fertigteil-Stadthaus.
Gibt es bereits Daten über die ökologischen Auswirkungen von vivihouse? Ja, die gibt es. Wir haben Berechnungen für ein viergeschossiges Bürogebäude gemacht und haben den Passivhausstandard errechnet: ca. 15kWh/m² für den Heizwärmebedarf und ca. 50kWh/m² für den Endenergiebedarf. Das ist ein ausgezeichneter Wert, aber heutzutage nichts Besonderes.
Interessanter sind die Ergebnisse für CO2-Emissionen und graue Energie bei Gebäudeerrichtung und Entsorgung. Das Tragwerkskonzept wurde gerade für die großen Volumina – also Decken, Stützen und Gebäudehülle – auf Kreislauftauglichkeit optimiert. Die gesamte Gebäudehülle besteht aus Holz und ist mit Stroh gedämmt. Anstelle von Massivholzlösungen kamen Rahmenelemente und Balkendecken zum Einsatz. Dies spart sehr viel Material, hat aber in den Decken den Nachteil größerer Aufbauhöhen. Alle Fertigteile können zerstörungsfrei rückgebaut und jederzeit woanders wieder eingebaut werden. Die gesamte Herstellung hat eine negative CO2-Bilanz. In diese sind Transportwege und Baustellenaktivitäten miteingerechnet. Im OI3 Index haben wir bisher nur den kleinvolumigen Prototyp eingegeben. Ergebnisse: OI3,BG3 Indikator 357, Entsorgungsindikator EI10: 7,9. Bei größeren Gebäuden sollte der OI3 Indikator noch kleiner werden.
Die Module von vivihouse werden wo von wem produziert? Bisher haben wir sie in angeleiteten Laienworkshops selbst produziert. Das war für uns im Entwicklungsprozess in mehrerer Hinsicht von Vorteil. Jetzt sind wir dabei, Produktionspartner zu poolen. Im Idealfall sollen es viele dezentrale Hersteller werden, die dann lokal produzieren können, anstelle eines großen exklusiven.
Wir danken Michael Fürst für seine detaillierten Antworten sowie dem ganzen Team von vivihouse für sein außerordentliches Engagement für ein neues, kreislaufwirtschaftsfähiges Bauen samt wichtigem bau-philosophischem Ansatz!
Ohne folgende Fördergeber wäre die Realisierung von vivihouse nicht möglich gewesen: Klima- und Energiefonds, als auch F&E Lead: TU Wien CONTINUING EDUCATION CENTER, sowie die Hauptsponsoren Wiehag und Katzbeck.
Informationen: Dieser Folder informiert sehr gut darüber, worum es bei vivihouse geht.